Von Eltern und Großeltern höre ich oft den Kommentar, meine Kinder, meine Enkelkinder mögen nichts Grünes im Essen, keine Zwiebeln, keine Kräuter, besonders keinen Schnittlauch und Petersilie. Schon in der Kindergartenzeit unserer Kinder bekam ich von einer Erzieherin den „guten Rat“, ich solle doch in Zukunft auf eine fertige Gewürzmischung für meine Spaghettisauce, die ich zu einer Geburtstagsfeier mit biologischen Zutaten, frischen Kräutern und Liebe zubereitet habe, zurückgreifen. Das war vor 25 Jahren. Schon damals waren die Geschmacksnerven auf die „Packerl-Saucen“ und Fertiggerichte getrimmt – auf künstlich hergestellte Aromen, viel Zucker und Glutamat.
Und jetzt ist für mich vieles noch unmissverständlicher. Weichspülerei – Einheitsgeschmack bei Gemüse und Obstsorten. Die Älteren unter uns wissen noch, wie früher Endiviensalat schmeckte. Der musste wirklich noch warm gewaschen werden, da sonst der Salat so viel Zucker benötigte, dass er einer Nachspeise glich. Bei den neuen Sorten reicht das Säubern mit kaltem Wasser. Auch bei den Gelben Rüben geht mir das erdige Aroma ab, das sich durch das lange Wachstum im Boden bildet. Dabei hat jeder Boden seine eigene Geschmacks-Ausprägung, die er in der Wurzel hinterlässt. Auf Anfrage bei konventionellen Züchtern habe ich erfahren, dass kräftige, strenge und bittere Aromen bei der Kundschaft nicht mehr erwünscht sind, Gelbe Rüben müssen einfach klein, einheitlich, zart und in erster Linie süß sein. Das ist auch ein Grund, warum die beliebteste Tomatensorte bei uns die Sorte Zuckertraube ist: klein, weichschalig und süß. Bei den Äpfeln haben wir ein fast noch schlimmeres Szenario, denn im EU-Handel sind eigentlich nur ca. 8 – 20 standardisierte EU-Norm-Sorten zu finden. Die unendliche Fülle an Duft- und Geschmacksnoten von den weltweit über 20.000 Sorten fehlt. Die alten Sorten haben im Gegensatz zu den neuen einen hohen Polyphenolgehalt, der auch die im Apfel enthaltenen Apfel-Allergene unschädlich machen kann. Gleichzeitig bewirken Polyphenole jedoch auch, dass ein Apfel schneller nach dem Anbeißen braun wird. Appetitlich sieht dies für Heikle nicht aus. Und um sein Kauwerkzeug nicht auch noch zu strapazieren, kommt der Apfel und sonstiges grünes Wald- und Wiesengewächs mit Obst aus Übersee als Smoothie in den Rachen. Weich püriert, unzerkaut ohne eingespeichelt zu werden (was die Verdauung eigentlich benötigt), rauscht die trendige Fitness- und Vitaminbombe, Zähne unberührt, durch unser Verdauungssystem – Weichmacherei.
Und weiter geht die Weichmacherei: Ist Ihnen auch aufgefallen, dass Fahrzeuge größtenteils mit geschlossenen Fenstern im Stadtverkehr fahren, auch bei moderaten Außentemperaturen? Ist es wirklich so schwer, Temperatureskapaden und -schwankungen auszuhalten? Wieviel Treibstoff könnten wir einsparen, wenn wir unsere Klimaanlagen einfach ausschalten würden!? Durch Allergien und empfindliche Geruchsnerven – ich hoffe, sie glauben mir, fahren wir immer mit offenen Fenstern ohne Klimaanlage. Natürlich kleben wir auch in unseren Sitzen, so wie vor Jahrzehnten eben auch, aber wir sparen uns eine Menge Spritkosten. Wenn alle mitmachen würden, wäre das eine enorme CO²-Einsparung, ohne dass wir dafür ein Gesetz brauchen.
Auch unsere Kinder/Jugendlichen kommen in den Genuss der Weichmacherei durch den Mama-Shuttle-Service, der die tägliche Bewegungszeit auf ein Minimum verringert. Wir sind zu Fuß in die Schule marschiert und waren eigentlich durch den morgendlichen Marsch aufgeweckt und später im Unterricht konzentriert dabei. Bewegung war unser Motor für Geist und Körper. Heutzutage herrscht morgendliches Chaos auf den Zubringerstraßen und den Bereichen vor den Schulen. Eine Rektorin meinte: „Am liebsten würden sie ihre Kinder auch noch in das Klassenzimmer fahren“. Tut das der jungen Generation gut, vom Verkehr, dem Wetter, von den Mitmenschen und dem Gewicht der Schultasche verschont zu werden? Ich glaube, wir tun ihnen keinen Gefallen. Zur Entfremdung von der Natur trägt auch der Shuttle-Service für Sport und Freizeitverpflichtungen nach der Schule bei. Für die Gesundheit von Groß und Klein und für un-sere Natur wäre das gemeinsame Schulweg-Radeln von größter Bedeutung. Über Nachhaltigkeit zu reden ist leicht, sie zu leben ist konsequent. Und Schulbusse gibt’s ja auch noch.
Passend zum Thema Weichmacherei ist der Verzicht auf Wäschetrockner. Eine Kundin meinte bei einem Verkaufsgespräch einmal, das wäre ihr nicht zuzumuten, luftgetrocknete Handtücher zu verwenden. Wäschetrockner benötigen eine Menge Energie, die wir in diesem heißen Sommer zum Trocknen gratis bekamen. Wie konnten wir nur all die vielen Jahre ohne diesen technischen Fortschritt überleben? Unsere Durchblutung hat es uns gedankt. Ach, stopp, wir hatten damals auch schon die Lenor-Duftwolke-Kinder. Unsere Mutter lehrte uns ihre Abneigung. Also, damals wie heute, der Wunsch nach Weichheit.
Eines meiner Lieblingsthemen ist die farbliche Geschlechtereinteilung bei Kleinkindern – die kleinen rosa Prinzessinnen und ihr „Gefolge“ in hellblauen Prinzen-Bodys. Mädchen mit kurzen Haaren und in neutralen Farben gekleidet, müssen immer Jungen sein. So erleben wir es, seit unsere kleinen Enkelinnen auf der Welt sind. Rosa symbolisiert Weiblichkeit, Schutzbedürftigkeit und Zartheit. Dann hoffen wir mal, dass in einigen Jahren auch die starken, untergebenen Prinzen ihrem hellblauen Body entwachsen sind und ihre Kraft und Dienste diesen Prinzessinen auch viele Jahre zur Verfügung stellen werden, denn so hat man sie erzogen. Wir setzen uns seit vielen Jahren für Geschlechtergerechtigkeit ein, das ist Weichmacherei. Wir wollen keine Barbies und Kens, sondern authentische Persönlichkeiten, egal welchen Geschlechts sie sind.
Ich hoffe, der Mensch lernt, dass der gerade und einfache Weg, das Weiche und Angenehme nicht immer der günstigste Weg für uns selbst und die Umwelt ist. Auf der einen Seite wollen wir „cool“ und stark sein, auf der anderen Seite sind wir weichgespült und labil. Wir sind die Verursacher der Hitze auf unserer Erde und dafür verantwortlich, daher sollen wir zur Strafe ruhig auch in unseren Fahrzeugen schwitzen. Und trauen wir unseren Kindern etwas zu – begleiten, aber kontrollieren wir sie nicht ständig, stülpen wir ihnen nicht vorgegebene Verhaltensmuster über, nehmen wir sie mit all den Fähigkeiten und Fertigkeiten, mit denen sie ausgestattet sind und die ihnen geschenkt wurden. Lassen wir sie täglich die Fülle von Aromen schmecken, die die Natur uns in so wunderbarer Weise schenkt, auch wenn sie mal bitterer, aber unheimlich gesund sind. Dazu gehört auch, dass nicht auf Schritt und Tritt gegessen und getrunken werden muss, egal wo wir uns gerade aufhalten, nur weil es verfügbar ist. Alles zu seiner Zeit. Gesundes Abhärten statt Weichmacherei.
Wer mal Bio-Gelbe Rüben mit „altem“ Geschmack probieren möchte, gerne bei uns in der Gärtnerei.
Text: Gabi Haid, Bio-Gärtnerei: Kleine Zellgasse 21 | Büro: Albert-Schweitzer-Str. 33
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