Die Fleisser und Ihr Werk…

DIE FLEISSER UND IHR WERK… Akzeptanz und Wertschätzung in ihrer Heimatstadt

Auszüge aus dem gleichnamigen Vortrag von Manfred Schuhmann

Teil 2

Teil 1 verpasst? – Teil 1 findest du hier

 

Der stellvertretende Polizeidirektor Berlins – der früher als Pionier-Leutnant in Ingolstadt Dienst getan hatte, sah vor allem die Ehre der Pioniere geschädigt und drohte mit Verbot, falls nicht einige den Stand der Pioniere beleidigenden Passagen gestrichen würden. Das passierte, und das Stück wurde unbeanstandet noch 42-mal aufgeführt. Das änderte aber nichts an dem „shitstorm“, der Ingolstadt erreichte und den Oberbürgermeister Gruber zu einer feierlichen Protestnote an das Polizeipräsidium Berlin, den preußischen Innenminister und die Berliner Presse veranlasste.

 

„Diese Reaktionen waren ja wohl ausschlaggebend für Akzeptanz und Wertschätzung von Marieluise Fleißer in ihrer Heimatstadt. Viele Ingolstädter von denen, die überhaupt was mit dem Namen anzufangen wussten  …und das war bei meinen Befragungen keineswegs die Mehrheit, hatten zumindest was von dem Skandal und dem Eingreifen Bert Brechts gehört und auch schon mal was gelesen…aber was war eigentlich genau passiert? Die Aufführung von „Fegefeuer in Ingolstadt“ – Fleißer hatte ursprünglich das Drama „Die Fußwaschung“ genannt – war ja 1926 durchaus erfolgreich aufgenommen worden…ist aber in Ingolstadt wohl nicht bemerkt worden.

 

 Aber kurz den Werdegang Marieluise Fleißers in Erinnerung gerufen: die Tochter des „ehrbaren“ Schmiedemeisters, wie der Vater später von den unbarmherzigen Kritikern scheinheilig bedauernd genannt wurde, sollte nach dem ihr ermöglichten – von Marieluise immer wieder dankbar erwähnten – Internatsbesuch in Regensburg mit Abiturabschluss nach dem Wunsch des Vaters MittelschulLehrerin werden. Sie entschloss sich aber für das Studium der Theaterwissenschaft und zog auch aus der zugedachten Studentenunterkunft in einem Klosterstift aus….und stürzte sich in das Schwabinger Bohème-Leben. Natürlich auch mit der Absicht, renommierte Autoren kennenzulernen, die sie bei ihrem Wunsch, Schriftstellerin zu werden, unterstützen könnten…Sie erzählt später – selbst lachend – nachzuhören – über Google abrufbar – man muss nur „Marieluise Fleißer“ eingeben – in der von Bayern 2 ausgestrahlten Sendung im Rahmen der Reihe Bayerisches Feuilleton „Marieluise Fleißer und ihr Drama mit Ingolstadt“, wie sie im Februar 1922 auf einem Faschingsball von einem charmanten Gentleman-Literat zu vorgerückter Stunde auf dessen Schultern dem in der Kultur- und Kunstszene „unumgehbaren“ Lion Feuchtwanger mit den Worten präsentiert  wurde: „Lion, hier stelle ich dir die Frau mit dem schönsten Busen von Mitteleuropa vor.“

 

Lion Feuchtanger bewertete ihre ihm gezeigten literarischen Erzeugnisse als reine Gartenlaube, unzeitgemäßen Expressionismus …Marieluise – diesen Namen hatte er ihr gegeben und sie hat ihn angenommen…denn laut Taufnamen hieß sie Luise Maria – verbrannte ihre bisherigen Arbeiten und erarbeitete die ihr empfohlene „Neue Sachlichkeit“, das Leben so zu schildern, wie es eben ist, wie sie später selbst urteilte. Feuchtwanger hat ihr für die neu entwickelten Texte einen Verlag verschafft – und sie mit Bert Brecht bekannt gemacht…
der auch gleich von „Marieluises schwierigem, aber unablenkbar richtig vortastendem Kunstwillen überzeugt war. Bei einem Spaziergang in Augsburg erzählte sie ihm von dem Brückenbau Küstriner Pioniere über den Künettegraben. Brecht witterte sofort eine interessante Geschichte und forderte sie auf, genau zu beobachten, was sich da so tut.

 

Bertolt Brecht hatte ja mit der „Dreigroschenoper“ die auch dank der 17 von Kurt Weill komponierten Lieder – und der Haifisch der hat Zähne…und die im Dunkeln sieht man nicht…zum wohl größten Theatererfolg der damaligen Zeit wurde – sich selbst als großen Star darstellen können, dem man bedingungslos folgen muss, um Erfolg zu haben. So hat sie seine Eingriffe in Text und Inszenierung bei der „verschärften Neuinszenierung 1929 in Berlin – die Uraufführung 1928 in Dresden war von der Kritik wohlwollend aufgenommen worden – fast widerstandslos hingenommen. Später hat sie bekannt, dass sie „den Sprengstoff“ nicht geahnt hatte. In der späten Erzählung „Avantgarde“ beschreibt Marieluise 1963 anhand einer anderen Person ihre eigene Situation: „Sie war blutjung, eine kleine Studentin, die sich selbst noch nicht kannte, den Kopf vollgesogen von ihrem Wollen, das einstweilen doch nur anmaßend war. Mit diesem Wollen geriet sie an ihn und wurde ganz stark gebrochen. Der Mann war eine Potenz, er brach sie sofort. Es würde sich zeigen, ob sie es überstand. Wenn nicht, war sie es eben nicht wert…“

 

Frau Fleißer hat am 17. April in einem ironischen Brief an den Oberbürgermeister und „Liebe Mitbürger“ u.a. geschrieben:

Sie haben gegen mein Stück „Pioniere in Ingolstadt“ protestiert und es ein gemeines Machwerk, ein Schmähstück, ein Schandstück genannt. Warum denn gleich so hitzig? Sie haben ja die Aufführung nicht einmal gesehen, auch das Stück nicht gelesen, da es niemand zugänglich war. Waren Sie da nicht ein bisschen leichtsinnig?…Warum ich ein Stück über Ingolstadt schreibe? Weil ich in Gottesnamen die Menschen da unten mit ihren tausend Schwierigkeiten liebe…wir leben nicht mehr im Zeitalter der Hexenprozesse…Übrigens: die Fleißer hat auf Anraten Lion Feuchtwangers den Oberbürgerbürgermeister wegen Beleidigung verklagt…und das Amtsgericht Berlin Mitte verurteilte den inzwischen Ex-Oberbürgermeister zu 30 Mark Geldstrafe. Die Ingolstädter Zeitung schreibt: „Wir hoffen, dass eine höhere Instanz ein anderes Urteil fällt.“

 

(…) Marieluise ist zu dieser Zeit mit dem Exzentriker Hellmut Draws-Tychsen auf Reisen in Schweden und im Süden Europas, dort entstehen auch literarische Reiseberichte wie „Andorranisches Abenteuer“, um die Kasse aufzubessern. Schon 1929 hat sie Vorarbeiten zu dem Projekt „Der Tiefseefisch“ getätigt und vor allem 1931/32 ihren Roman „Mehlreisende Frieda Geier“ geschrieben, der praktisch auch die Beziehung zum späteren Ehemann Bepp Haindl aufarbeitet. 1971 wird der Roman nach Überarbeitung „Eine Zierde für den Verein“ genannt. Aus dem Schluss dieses Romans zitiere ich bei meinen Lesungen gerne…weil eine Frau die Männerrauferei in der Antoniusschwaige so anschaulich und drastisch bis hin zu zerdepperten Tischbeinen und letzlich humorvoll beschreibt, dass man als Mann nur respektvoll staunen kann…am Ende spuckt dann der Anführer der siegreichen Schwimmer vier Vorderzähne in sein sauberes Taschentuch und sagt: „Schön war´s“  Dieser Gustl ist Fleißers späterer Ehemann Bepp Haindl. Er verehrt und liebt sie seit Jahren, schreibt unglaublich viele Liebesbriefe – die samt seiner orthographischen Fehler in dem von Suhrkamp herausgegebenen lesenswerten Buch „Briefwechsel 1925 – 1974“ abgedruckt sind. Vater Heinrich beschreibt in seinem langen Brief vom 27. Juni 1929 Josef Haindl als „wackeren jungen Mann, der Tapfere, der sich furchtlos gegen die öffentliche Meinung gestellt hat, der unbeirrt um geschäftliche Vor- oder Nachteile für dich und deine Ehre eingetreten ist…

 

Seine Liebesbriefe mit den vielen Kosenamen, die er erfindet…, als Leser empfindet man Respekt und fast ein wenig Mitleid, wie er alles Bangen aushält…bis schließlich Marieluise nach Verlobung und Entlobung 1934 Bepp Haindl heiratet. Wohl auch aus finanziellen Gründen, weil in den Zeitungen, die früher ihre Artikel abgedruckt hatten, die Redakteure  gegen Leute mit na-tionalsozialistischer Gesinnung ausgetauscht waren. Aber auch aus Sicherheitsgründen. Denn, wie sie in einem Brief 1934 schreibt: „Bereits kann ich drei gute
hiesige Lokale nicht mehr betreten, da ich dort in skan-dalöser Weise angerempelt worden bin, und meine ruhige und bescheidene Anwesenheit wird als Provokation empfunden.“ 1965 schrieb sie an Hermann Kesten: „Nach der Machtergreifung wurde ich als missliebige Autorin vom Völkischen Beobachter namentlich benannt. Solche Benennungen wirkten auf die öffentliche Meinung ein, es war wie „an den Pranger stellen“. Die Reaktion in einer so kleinen Stadt wie Ingolstadt war dementsprechend, ich wurde gemieden, man schlich um mich herum wie um eine Aussätzige…

 

Ihr jetziges Leben, das sie selbst „wie in einer Grube“ empfand, spielte sich weitgehend im Laden ab, der nach der Schilderung etlicher Befragter düster war. Frau Haindl saß vorne, Herr Haindl, wenn er nicht gerade beim Befüllen der Automaten war, hinten im Lager. „Man kam sich als Kunde immer fast wie ein Störfaktor vor“ und Frau Haindl war immer eher missmutig…wenn sie dann das Geld zur Deutschen Bank brachte, entstand nach Aussage des damaligen Direktors fast Panik, wer sie denn bedienen sollte…weil eigentlich nie die Summe stimmte und wiederholt nachgezählt werden musste. Immerhin konnte 1950 die 1944/45 geschriebene Komödie „Der starke Stamm“ in den Münchner Kammerspielen mit der großartigen Therese Giese in der Rolle der habgierigen Balbina erfolgreich aufgeführt werden.

 

1958 verstarb Ehemann Bepp Haindl und Marieluise Fleißer kann nach einer lebensgefährlichen Herzerkrankung mit Hilfe der Verwandtschaft und Verkauf des Ladens ihre „Rückkehr ins Leben“ gestalten. Die Mentoren und Dompteure – Brecht starb 1956, Feuchtwanger 1958 – gab es nicht mehr. Aber da tauchten die sogenannten „Jungen Wilden“ auf – Martin Sperr, Franz Xaver Kroetz und Rainer Werner Fassbinder – die sich öffentlich auf ihr Vorbild Marieluise Fleißer beriefen. Sperr, der scheibt, er habe von der Frau Fleißer soooo viel gelernt, hat mit seinem Stück „Jagdszenen aus Niederbayern“ kongenial die Engstirnigkeit und Miefigkeit im Provinzleben thematisiert. Fassbinder hat sogar gesagt, „dass er nicht hätte angefangen zu schreiben, wenn er nicht die Pioniere gesehen hätte. Die Verfasser des Buches „Marieluise Fleißer. Leben im Spagat“ sprechen sogar von einem ausgelösten „Fleißer-Boom“

 

Sie war zwar schon 1956 als ordentliches Mitglied in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen worden, doch nun folgte eine Ehrung nach der anderen: 1961 wurde ihr der neu eingeführte Kunstförderpreis der Stadt Ingolstadt, verbunden mit einem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt, verliehen. 1964 Bundesverdienstkreuz, 1966 Studium an der berühmten Villa Massimo in Rom und bei der Eröffnung des neuen Stadttheaters wurde ihr die erste Reihe zugewiesen. In diesem Jahr wurde in Berlin „Der starke Stamm“ trotz der sprachlich-dialektischen Schwierigkeiten 104-mal erfolgreich aufgeführt.

 

Foto1: © Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt

Foto2 – © Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt/Rössle

Manfred Schuhmann,

langjähriges Mitglied des Ingolstädter Stadtrates,
des Kulturausschusses und der Fleißer Gesellschaft wurde gebeten, einen Vortrag zum Fleißer-Jubiläumsjahr zu halten. Im bereits in der letzten Ausgabe veröffentlichten ersten Teil ging es um die öffentlichen und öffentlich gemachten Reaktionen bezüglich der sogenannten Skandalaufführung „Pioniere in Ingolstadt“.

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