Die Fleisser und Ihr Werk – Teil 3

Akzeptanz und Wertschätzung in ihrer Heimatstadt

Auszüge aus dem gleichnamigen Vortrag von Manfred Schuhmann

Teil 3

Es folgte fasst ein Fleißer-Boom: „Sie war zwar schon 1956 als ordentliches Mitglied in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen worden, doch nun folgte eine Ehrung nach der anderen: 1961 wurde ihr der neu eingeführte Kunstförderpreis der Stadt Ingolstadt, verbunden mit einem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt, verliehen. 1964 Bundesverdienstkreuz, 1966 Studium an der berühmten Villa Massimo in Rom und bei der Eröffnung des neuen Stadttheaters wurde ihr die erste Reihe zugewiesen. In diesem Jahr wurde in Berlin „Der starke Stamm“ trotz der sprachlich-dialektischen Schwierigkeiten 104 Mal erfolgreich aufgeführt.

 

1971 geschieht allerdings etwas, das dazu führt, dass in Ingolstadt Marieluise Fleißer massiven Angriffen ausgesetzt wird. Fassbinders Fernsehfilm „Die Pioniere von Ingolstadt“ mit Hanna Schygulla als Berta wird von einer Fernsehprogramm–Zeitung angekün-digt…mit Adresse und Telefonnummer von Frau Fleißer! Schmähbriefe und telefonische Beleidigungen übelster Art setzten ihr so zu, dass sie einen Herzanfall erlitt – und das 42 Jahre nach der
sogenannten Skandalpremiere!! Klaus Gültig hat mich gebeten, die schlimmsten Beleidigungen nicht zu erwähnen. Ich war wirklich entsetzt, als ich so manches gelesen habe. Das ist mit den heutigen Hassmails durchaus zu vergleichen. 

 

 

Offiziell gehen die Ehrungen außerhalb Ingolstadts weiter:

1972 Edition des Gesamtwerks bei Suhrkamp –1973 Aufnahme als Ordentliches Mitglied in die Akademie der bildenden Künste in Berlin und Verleihung des Bayerischen Verdienstordens.

Bei der Beerdigung 1973 waren in einer „überschaubaren“ Trauergemeinde etliche von auswärts angereiste Vertreter des Literaturlebens anwesend. Darunter Unseld, Luise Rinser, Kroetz…

In Ingolstadt wird im Zusammenhang mit der Übergabe des Nachlasses 1981 der erste mit 10.000 € dotierte Fleißerpreis verliehen; ursprünglich alle 5 Jahre, jetzt alle zwei Jahre. Die Stadtbücherei wird nach ihr benannt, im Telefonverzeichnis der Stadt
allerdings nur unter Stadtbücherei gelistet und am Haus nur in einer kleinen Bronzetafel unter „Stadtbücherei“ aufgeführt. 1996 gründet sich die Fleißer Gesellschaft Ingolstadt mit dem damaligen Chefredakteur Prof. Friedrich Kraft, die auch international tätig ist. Der jetzige Vorsitzende, Andreas Betz, schreibt in seiner erbetenen Stellungnahme, in der er natürlich auch die bestehende Aktualität des Werkes zur modernen Gesellschaft betont, dass er sich wünscht, dass „Der Tiefseefisch“ mal auf die Bühne kommt….und dass er gerne das Stadttheater in „Marieluise Fleißer Theater“ umbe-nannt sähe. 

 

 Apropos Theater: 1966 wird der Hämer-Bau eröffnet. Intendant Hans Joachim Klein setzt sich mit der Ingolstädter Autorin auseinander: 1968 wird „Der starke Stamm“ mit wirklich großem Erfolg und 1971 „Die Pioniere von Ingolstadt“ aufgeführt. Klaus Gültig berichtet, wie wichtig das für seine Tante war. Sie habe alle acht Vorstellungen besucht…und freute sich, dass auch Intendanten von auswärts kamen und sie gratulierend begrüßten. Sie durfte also vor ihrem Tod eine Art Rehabilitation erleben.

Aber wenn man weitere Fleißer-Stücke in Ingolstadt sucht…in der 22-jährigen Intendanz von Ernst Seiltgen sind 1979 die „Pioniere“, 1984 das „Fegefeuer“ und 1987 „Der starke Stamm“ zu sehen. Wolfram Krempel bringt in seiner 6-jährigen Intendanz das „Fegefeuer“ 2001 auf die Bühne und Peter Rein in seinen 10 Jahren 2005 den „Starken Stamm“.

Bei Knut Weber gibt es 2011 eine Bühnenfassung des Romans „Eine Zierde für den Verein“, 2012 eine „Avantgarde“-Lesung, 2022 das „Fegefeuer“ im Kleinen Haus – was übrigens von Fleißer-Fans kritisiert wurde und 2013 eine Uraufführung im Großen Haus „Lebenmüssen ist eine einzige Blamage / Ein Stück über Marieluise Fleißer.“

Knut Weber schreibt mir, dass das Werk von Marieluise Fleißer sich bei genauer Lektüre als ungeheuer modern erweist…und zeigt eine zuweilen erschreckende Aktualität. Und Ingolstadt kann sich in ihrem Werk immer noch wiedererkennen – auch wenn das vielleicht manchmal schwerfällt. Insofern finde ich ihre Statue in der Theresienstraße als deutlich zu klein geraten. (Ergänzend weise ich auf eine andere künstlerische Arbeit von Alf Lechner hin. Die Skulptur an der Donaulände mit der Benennung „Geborgenheit“ eine meiner Ansicht nach etwas mystische Bezeichnung.)

 

Eine Art Erklärung für die seltenen Aufführungen schrieb mir Dr. Hermann Widmann, auch ein Neffe der Fleißer. Ohne ihn, den Besitzer, wäre das heutige Fleißer-Haus so nicht entstanden. Voraussetzung, dass es dort heute ein zugängliches Fleißer-Archiv und über drei Stockwerke ein Fleißer-Museum gibt, war natürlich die Übergabe des Nachlasses an die Stadt Ingolstadt – trotz Bewerbungen anderer Literatur-Archive. Walter Jens, damaliger Vorsitzender des PEN-Clubs, kam nach Ingolstadt und meinte: „Der Nachlass gehört nach Ingolstadt. Die Stadt soll sich weiter an ihm reiben.“ 

 

Doch zurück zur Erklärung für seltene Aufführungen. „Was heutzutage nicht so gern gesehen wird, ist eine schlechte Auslastung. Und mit der muss der Intendant da rechnen. Denn ungern lässt es sich der Mensch unter die Nase reiben, was er in seinem Vorgarten so alles sehen muss. Lieber schon legt er den Mantel des Schweigens drüber…So nahe am Vorgarten? Die Heimatstadt tut sich da schon schwer. Leichter hat es dann doch der Berliner, so nach dem Motto…ha,ha, die da unten…“

Die Künstlerin Dagmar Hummel hat sich intensiv mit Leben und Werk auseinandergesetzt und zahlreiche Collagen und Objekte unter dem Titel „Wenn die Kälte nicht weichen will“ geschaffen…ein Objekt wurde mit dem Fleißerpreis der Sparkasse Ingolstadt ausgezeichnet. Sie arbeitet an einer Ausstellung zum Thema, die im September eröffnet wird. 

 

Der Schauspieler Enrico Spohn hat auch auf meine Befragungsaktion reagiert: „Als ich 2001 nach Ingolstadt kam, war die Stadt für mich kulturell Fleißer und SLUT. Aber mein erster Tag am Theater begann am Grab der Fleißer auf dem Westfriedhof, der DONAU KURIER war auch dabei…ich habe ihre Figuren gespielt, das Denkmal in der Theresienstraße enthüllt…und ihr Leben mit Kresnik auf die Bühne des Großen Hauses gebracht. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Leute noch nie etwas von ihr gehört haben. Dann sage ich „Brecht“ und alle sagen „Ah!“

 

In diesem Zusammenhang möchte ich persönlich feststellen, wie viele Menschen, die ich in der Theresienstraße spontan fragte, ob sie wüssten, wer diese Frau sei, hilflos mit den Achseln zuckten. Im VIP-Bereich des ERCI fragte ich einige junge Fans, darunter, wie sich später herausstellte, ein Abiturient und ein Mädchen aus einer 12. Gymnasialklasse was ihnen der Name Marieluise Fleißer sage…so ein wenig wie „Hä, wer soll das sein?“, war die Reaktion. Die Malerin
Helga Bäumler hat sich vor Jahren gedacht, mal nachzufragen, ob die Bewohner an der neuen Marieluise-Fleißer-Straße was mit dem Namen anfangen können. Sie hat die Häuser fotografiert und die Antworten drunter geschrieben. Eine fast originelle Antwort war: „Da müssens die Stadt fragen.“ Ich habe einige Persönlichkeiten Ingolstadts befragt, was sie mit Marieluise Fleißer verbinden. Etliche, die zugezogen sind, wie etwa Frau Professorin Ruisinger oder der neue Personalreferent haben zugegeben, dass vor ihrer Ankunft in Ingolstadt „Fleißer“ kein Begriff war.

Durch das vielfältige Programm, das die Stadt bzw. das Kulturreferat auf die Beine gestellt hat und das auch sehr gut angenommen wurde, wird sich die Akzeptanz und Wertschätzung sicher weiter verbessern. Kulturreferent Gabriel Engert hat in seinem letzten Dienstjahr seine Kompetenz nochmals nachdrücklich bewiesen. Er schrieb mir, „dass die Vorbehalte, die noch vor 30 Jahren spürbar waren, weitgehend verschwunden sind…die Bedeutung ihres Werkes wird mehr und mehr erkannt, wobei auch Autorinnen wie Elfriede Jelinek ihren Beitrag geleistet haben (Die Literaturnobelpreisträgerin hat Marieluise Fleißer als größte Dramatikerin des 20. Jahrhunderts bezeichnet). Marieluise Fleißer hat die Verletzungen im zwischenmenschlichen Bereich und die strukturelle Gewalt, die in vielen Beziehungen zu Ungunsten der Frau angelegt ist, erkannt und beschrieben und dies mit einer einmaligen und unverwechselbaren Sprache. Die Themen sind gerade heute wieder brandaktuell. Auch dies trägt sicher zum steigenden Renommee bei.

 

Zum Abschluss Zitate aus der Stellungnahme von Frau Schönwetter, Deutschlehrerin am Reuchlin Gymnasium, die eben einen Workshop zur Fleißerin durchführt: …der Idealismus, der am realen Leben zerbricht. Er kann passieren und passiert auch heute noch. Marieluise Fleißer ist in vielerlei Hinsicht also eine wahre Pionierin aus Ingolstadt. Ich denke, das ist eine gute Schlussbemerkung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Foto1: © Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt

Foto2 – © Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt/Rössle

 

Manfred Schuhmann, langjähriges Mitglied des Ingolstädter Stadtrates, des Kulturausschusses und der Fleißer Gesellschaft wurde gebeten, einen Vortrag zum Fleißer-Jubiläumsjahr zu halten. In den bereits in den letzten Ausgaben veröffentlichten ersten beiden Teilen ging es um die öffentlichen und öffentlich gemachten Reaktionen bezüglich der sogenannten Skandalaufführung „Pioniere in Ingolstadt“ und die Anfeindungen auch nach ihrer Hochzeit 1934, die Marieluise Fleißer das Leben in Ingolstadt so schwer machten. 1958 verstarb Ehemann Bepp Haindl und mehr oder weniger zeitgleich ging es so langsam wieder aufwärts.

 

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